Selbsthilfe von Psychiatriebetroffenen
Psychische Erkrankungen sind oft das Gegenteil von Zeichen der Ordnung, vielmehr Zeichen vom Verlust der Steuerung bei den Betroffenen. Das Ergebnis ist Unordnung, Chaos. Viele Betroffene
versinken nach der Episode in ein Tal der Scham, trauen sich nicht, darüber zu sprechen. Eine Minderheit fällt ins Gegenteil und diese sprechen öffentlich über Schuldige in ihrem Umfeld, sei es Familie, Institutionen oder Professionelle, denen sie die Verantwortung für ihre Entgleisungen anlasten.
Das Leben in einer geschichteten, stark gegliederten Gesellschaft braucht zu seinem Funktionieren klare Regeln, sprich Ordnung. Die Gesellschaft bietet Möglichkeiten, am Steuerungsverlust zu arbeiten: Krankenhaus- und Rehaaufenthalte, dazu die Angebote von niedergelassenen Ärzten, Therapeuten, Heilpraktikern und Lebensberatern. Hinzu kommt die Selbsthilfe: Betroffene finden sich zusammen, um über ihre Probleme zu sprechen. Das kann bei einer zufälligen Begegnung auf der Straße geschehen. Anfänge der Organisation zeigen sich, wenn Betroffene sich regelmäßig treffen. Für die Dauerhaftigkeit solcher Treffen müssen gewisse Voraussetzungen gegeben sein: Ort und Zeit des Treffens müssen beständig sein. Die Verbundenheit zwischen den Teilnehmern kann gesteigert werden durch gemeinsame Aktivitäten wie Ausflüge und Zusammenkünfte wie Kaffeerunden, gemeinsames Kochen und Essen in wöchentlichem oder monatlichem Abstand. Das bedingt eine Infrastruktur mit einem Raum als Anlaufadresse und festgelegten Öffnungszeiten.
Freilich braucht es dafür Mittel. Wie kommen Betroffene an Mittel und wohin können sie sich wenden? Mit einer antipsychiatrischen Haltung, dass Psychiater die bösen Buben sind, ist nicht weit zu kommen. Ich sehe ab von Schuldzuweisungen und suche selbst, meine Haltung zu verbessern.
Ein großes Hindernis ist das geringe Ansehen von Psychiatriebetroffenen, denn die Krankheitsepisoden sind oft mit dem Verlust von Arbeit und Familie verbunden. Umso dringlicher ist deshalb die Suche nach Verbündeten. Ich stehe zu meinem Verlust der Steuerung, sei es in Manie, Depression, Psychose oder PTBS oder anderes und suche das Gespräch mit allen, die willens zum Austausch sind. Wen kann ich dafür als Verbündete gewinnen? Ich wende mich zunächst an die Angehörigen von Kranken und weiter an den Kreis der Professionellen: Sozialarbeiter in Verbänden und Behörden. Eine Lösung kann der Eintritt in ein Hilfsangebot der sozialen Dienste oder die Gründung eines neuen eingetragenen Vereines sein. Letzteres ist in Karlsruhe geschehen in Gestalt von Schiller33 e. V., der von Anfang an einen gemischten Charakter aufwies mit Betroffenen und Angehörigen in der Vorstandschaft. Die Sozialarbeiterin Britta Brandstätter wurde bei der Gründung als erste Vorsitzende gewählt und übte dieses Amt über viele Jahre lang aus.
Albert Keim